Nr 8: Jonas Pirzer, Diplomkonzert
Der Schlagzeuger Jonas Pirzer beendet sein HMTMH-Studium mit einem Vierfach-Konzert: "Hannover ist quadratisch!" In diesem Interview spricht Pirzer über musikalische Vorbilder und seinen kompositorischen Ansatz, das Betreiben eines Indie-Labels und die Aussichten für Jazzmusiker in Hannover.
Interlude: Am 4. Juli 2013 spielst du im Kulturzentrum Faust dein Diplomkonzert. Der Abend trägt den Titel: 4 Bands, 4 Genres – ein Quadrat. Was bedeutet das?
Jonas Pirzer: Das Quadrat ist natürlich eine Anspielung auf das von uns gemeinschaftlich betriebene Indie-Label quadratisch rekords. Wir benutzen mein Diplomkonzert als „Kick-off“ und veranstalten eine Labelnight, in der vier unserer Bands vier sehr unterschiedlicher Genres auftreten, die dem Publikum eine große stilistische Bandbreite zumuten:
In der Band NaNaya spiele ich ein reduziertes Drum-Set mit Percussion-Elementen. Ich wollte gerne für diese Band andere Farben benutzen, bin aber kein wirklicher Perkussionist. Mit dieser Hybrid-Lösung bin ich ziemlich zufrieden. Grundsätzlich ist die Musik von NaNaya sehr zerbrechlich, weil es kein Harmonie-Instrument gibt. Stimme, Bass und Oud sind ja in erster Linie Melodieinstrumente. Die Musik lebt sehr von dieser Zerbrechlichkeit und der Atmosphäre, die wir im Idealfall erzeugen. Insofern ist bei jedem Konzert die besondere Herausforderung, die Zuhörer in den Bann zu ziehen – hier im wirklichen Wortsinn. Die zweite Besonderheit ist, dass ein Großteil der Texte auf Ungarisch ist, weil die Sängerin Thea Soti aus Ungarn stammt. Auch wenn das den Mitsingbarkeitsfaktor nicht gerade erhöht, gibt es doch der Musik eine ganz besondere Farbe. Außerdem ist sie oft ungewöhnlich rhythmisiert - weil auf Ungarisch sehr anders phrasiert wird als auf Deutsch.
Dasch2 sind ja schon sowas wie „Local (avantgarde) Heroes“. Neben den obligatorischen Auftritten im Kulturpalast am Anfang haben wir auf der Jazzwoche letztes Jahr die Reihe Jazz im GUT eröffnet. Und wir haben tatsächlich auch schon in der Warenannahme gespielt – bei einem Diplomabschluss zweier Kostümbildnerinnen. Die Musik, die wir mit dem Etikett „hochgradig wirksame Universalmusik“ ironisch und, ja: in Anspielung auf das Waschmittel, beschreiben, changiert zwischen Jazz, Neuer Musik und Progressive Rock.
Ego Super ist, gemessen an der Liveaktivität der Band, der jüngste Spross der quadratisch-Family. Wir spielen in klassischer Rocktrio-Besetzung. Die Musik bedient sich schamlos bei nahezu allen Pop/Rock-Genres und auch, wenn sie manchmal schon fast gefällig daherkommt, sollte man sich dadurch nicht über die beißenden (Selbst)-Ironie der Texte hinwegtäuschen lassen.
Und schließlich als Diplomset mit der Konfrontation Eigenkompositionen, arrangiert für Tentett. Dafür habe ich zur Hälfte alte Stücke neu für diese Band arrangiert und zur Hälfte neue geschrieben. Manche waren also ursprünglich für kleinere Besetzungen gedacht, manche für genau diese. Ich bin gespannt, ob man das „von außen“ merkt!
Interlude: Komponieren Schlagzeuger anders als andere Instrumentalisten?
Jonas Pirzer: Ich denke schon, dass Schlagzeuger einen anderen Ansatz haben. Ich bin allerdings auf dem Klavier groß geworden, sodass ich eher pianistisch schreibe – manchmal zum Leidwesen der Pianisten, die das dann spielen müssen! Ich meine, dass es für Schlagzeuger schwieriger ist, mit Harmonik und Melodik zu hantieren, als für andere Instrumentalisten, weil es eben deren Tagesgeschäft ist, Skalen und Akkorde zu kennen und zu üben. Ich versuche, das als Chance zu sehen, durch unorthodoxe Methoden Klischees zu vermeiden. Eine der schönsten Weisheiten, die ich über das Komponieren gehört habe, ist dass Limitationen so viel kreative Energie freisetzen können und man endlos Ideen entwickeln kann, wenn man sich von ihnen herausfordern lässt.
Interlude: Was sind denn deine musikalischen Vorbilder? Und wie ist dein Ansatz beim Komponieren?
Jonas Pirzer: Die Suche nach der künstlerischen/musikalischen Identität ist ja immer das Thema. Ich denke es ist wichtig, dass es eben genau das bleibt – eine Suche – um frisch zu bleiben! Andererseits kann man Suche nicht aufs Papier schreiben, das ist zu unkonkret. Was mir für das Komponieren sehr hilft: mich von der Vorstellung zu verabschieden, dass die Musik die ich schreibe irgendwelchen Qualitätsmaßstäben genügen muss oder irgendjemandem gefallen soll. Denn wenn ich das tue, schreibe ich nicht, weil ich immer das Gefühl habe, es könnte noch eine „bessere“ Idee geben, auf die ich warten bzw. die ich mir aus den Fingern saugen muss. Natürlich will ich, dass den Leuten meine Musik gefällt, aber soweit kann ich beim Schreiben nicht denken. Ich möchte eigentlich die verbrauchte Vokabel von der Authentizität vermeiden, aber genau darum geht es letztlich ja. Ich glaube, dass der vielbeschworene eigene Stil eine Mischung aus musikalischen Prägungen und den von mir zuvor erwähnten Limitationen ist. Diese musikalischen Prägungen schließen natürlich den Katalog musikalischer Vorbilder, die man so im Laufe der Zeit anhäuft, mit ein. Ich habe Jazz studiert, natürlich kenne und mag ich die Klassiker. Bleiben wir mal bei Bigbands: Duke Ellington, Count Basie, Thad Jones/Mel Lewis, Bob Brookmeyer, aber auch neuere Ensembles wie Darcy James Argue’s Secret Society oder das SF Jazz Collective. Aber auch auf dieser Seite des Ozeans gibt es so viele fantastische Large Ensembles: Lucerne Jazz Orchestra, Nils Klein Tentett, Lauer Large, Andromeda Mega Express Orchestra und viele mehr.
Musikalische Einflüsse sind für mich genauso die großen Komponisten der Klassik: Bach, Beethoven, Bruckner, Mahler, um nur ein paar wenige zu nennen. Als ich während des Studiums gemerkt habe, mit welcher Ernsthaftigkeit sich beispielsweise die Amerikaner mit ihren „Roots“ auseinandersetzen, wurde mir wieder klar, dass meine Wurzeln eben nicht im Blues liegen, sondern mehr in der Europäischen Kunstmusik, die ich als Kind und Jugendlicher viel gespielt und gehört habe. Das hat mir auch geholfen, die Musik die ich schreibe einzuordnen - oder sagen wir lieber in Beziehung zu Jazz zu setzen. Denn was ich schreibe sich entfernt sich von der amerikanischen Jazzmusik schon ziemlich weit. Es gibt kaum Swing, keine II-V Akkordprogressionen und wenig Blues – trotzdem ist es irgendwie Jazz, nur eben anders.
Interlude: Worin besteht für dich die besondere Herausforderung im Arrangieren für größere Ensembles?
Jonas Pirzer: Eine gute Vorstellung davon zu haben, wie die zu besetzenden Instrumente klingen und wie man sie gut und effektvoll einsetzt; auch über ihre Möglichkeiten Bescheid zu wissen. Manche Dinge sind schlicht unspielbar und führen dann im Zweifel dazu, dass ein Arrangement nicht funktioniert. Eine Posaune kann zum Beispiel ab einer gewissen Höhe nicht mehr besonders leise spielen. Das muss man als Arrangeur wissen, auch wenn man überhaupt kein Blasinstrument spielen kann – so wie ich. Nachdem ich im Februar zwei Stücke für Bigband arrangiert hatte, bin ich davon ausgegangen, dass es für ein Ensemble mit zehn statt siebzehn Musikern auch weniger Arbeit sein müsste - das hat sich nicht bestätigt. Als herausfordernd empfinde ich es auch, die Übersicht zu behalten und den Notenwust zu bewältigen, von Probenplanung mal ganz zu schweigen! Für mich besteht die größte Belohnung darin, die Musik das erste Mal von echten Instrumenten gespielt zu hören – das ist unbeschreiblich!
Interlude: Ein Konzert zu organisieren, gerade wenn es sich wie in deinem Fall um eine größere Veranstaltung handelt, bedeutet ja auch viel nicht-künstlerische Arbeit. Welche Empfehlungen kannst du aus deinen Erfahrungen ableiten?
Jonas Pirzer: Sucht euch ein Team von verlässlichen Leuten, mit denen ihr gut arbeiten könnt und deren kritisches Feedback ihr schätzt. Fangt frühstmöglich mit der Planung an und teilt die Arbeit in verschiedene Bereiche ein, für die jeweils einer hauptverantwortlich ist. Nehmt euch für alles immer mehr Zeit, als ihr glaubt zu brauchen. Priorisiert die Aufgaben und macht von vornherein einen Zeitplan, an dem ihr euch orientieren könnt – das hilft enorm. Eigentlich habe ich keine Tipps, die nicht sowieso selbstverständlich sind. Ich kann nur betonen, wie wichtig es ist, sie zu beherzigen, weil ich wieder mal an einigen Stellen gemerkt habe was passiert, wenn man es nicht tut. Grundsätzlich muss man einen Weg finden, wie man parallel künstlerisch und organisatorisch arbeitet, ohne Qualitätseinbußen!
Interlude: Wie beurteilst du die Aussichten für Jazzmusiker in einer kleinen Großstadt wie Hannover?
Jonas Pirzer: Gar nicht schlecht. Anders als in den großen Kreativmetropolen ist die Szene hier durchlässiger als anderenorts, weil die Stadt nicht so überlaufen von Musikern ist. Man kann sich in relativ kurzer Zeit einen guten Überblick verschaffen und sein Netzwerk aufbauen – Kontakte sind ja essentiell und auch eine Sichtbarkeit ist für Musiker absolut notwendig. Wenn dich keiner kennt, ruft dich auch keiner an! Trotz der Übersichtlichkeit ist Hannover groß genug, um keine Trägheit und Behäbigkeit aufkommen zu lassen. Im Gegensatz zu anderen Großstädten kann man hier außerdem zu anständigen Konditionen unterrichten. Es stimmt, dass Vieles besser sein könnte, aber glaube, dass man gut daran tut, Brachen als Chancen zu begreifen und nicht in das Horn der Kulturpessimisten zu stoßen. Nach meiner Erfahrung kann man nach wie vor mit einer guten Idee und viel Einsatz Unterstützer gewinnen.
Interlude: Um nochmal zum Anfang zurückzukehren: Hannover ist quadratisch! ist nicht nur dein Diplomkonzert, sondern auch ein Abend des Labels quadratisch rekords, das du mitbetreibst. Was bringt euch angesichts des Niedergangs der physischen Musikdistribution dazu, ausgerechnet ein Plattenlabel zu betreiben?
Jonas Pirzer: Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum Einen wollten meine Betreiberkollegen (ich bin kein Gründungsmitglied) ihre CDs selbst veröffentlichen, denn sie hatten kein Label gefunden, dessen Konditionen attraktiv genug waren. Bands aufzubauen kostet extrem viel Zeit und Geld, eine Investition die kleine Labels oft nicht tätigen können oder wollen. Daher gibt man als Künstler oft viele Rechte ab und muss trotzdem noch massiv Selbstvermarktung betreiben. Mit einem eigenen Label kontrolliert man die Wertschöpfungskette selbst ... wenn man von so etwas bei einem kleinen Indie-Label sprechen kann ... Außerdem: Wenn man eine CD im Radio spielen will, kommt man um einen Labelcode nicht herum. Ein weiterer Grund war die Neugier: Wie funktioniert das eigentlich und was muss man tun, um ein Label zu betreiben? Darüber hinaus wollten wir auch ein Stückweit Dinge professionalisieren, die wir sowieso schon so machten. Ich glaube nicht, dass wir so viel über Selbstvermarktung, Musikdistribution, Finanzen, die GEMA und das gute alte Gewerbeamt gelernt hätten, wenn wir nur in der einschlägigen Fachliteratur gewühlt hätten.
Hannover ist quadratisch! - Diplomkonzert und Labelnight ist am 4. Juli 2013 um 19.30 Uhr in der Faust Warenannahme, Zur Bettfedernfabrik 3 zu hören.
Mehr Infos
Jonas Pirzer studierte bei Heinz Lichius Schlagzeug im Studiengang JazzRockPop. Mehr Infos über ihn gibt es auf seiner Homepage.
Das Interview führte Johannes Wilke.
veröffentlicht im Juni 2013
Zuletzt bearbeitet: 30.06.2013
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