Nr 5: Christin Neddens Diplomkonzert

Die Schlagzeugerin Christin Neddens beendet ihr HMTMH-Studium mit einem Diplomkonzert unter Mitwirkung einer Bigband. In diesem Interview spricht sie über ihre Vorliebe für Bigband-Musik, die unterschiedlichen Aufgaben des Schlagzeugs in großen und kleinen Besetzungen, und empfiehlt spannende Bigband-Alben der letzten 60 Jahre.


Interlude: Am 26. Oktober 2012 spielst du mit Christin Neddens' Tschak Boom Collective dein Diplomkonzert. Was erwartet die ZuhörerInnen?

Christin Neddens: Die ZuhörerInnen erwartet ein großartiges junges Klangkollektiv, das klassische Count Basie-Literatur einerseits, Arrangements der 60er und 70er Jahre andererseits in eigenen Interpretationen präsentieren wird. Geboten wird somit ein stilistisch vielfältiges Programm von Swing bis Jazz-Rock, was den Klangkörper Bigband in all seinen Facetten und Klangfarben von energetisch, druckvoll bis gefühlvoll darstellt.

Interlude: In den anderen Diplomkonzerte dieser Tage werden meist Trios und Quartette zu hören sein. Wie bist du auf die Idee gekommen, mit einer Bigband deinen Abschluss zu spielen?

Christin Neddens: Meine Vorliebe für Bigband-Musik entstand während meiner Zeit im Landesjugendjazzorchester Brandenburg und Hamburg zu Beginn des Musikstudiums 2007. Ausschlaggebend dabei waren Personen wie z.B. Jiggs Whigham, der selbst im Orchester von Stan Kenton und Count Basie spielte und uns somit die Bigband-Tradition faszinierend nahelegte und vorlebte.

Zeitgenössische, moderne Impulse kamen zeitgleich von meinem Schlagzeuglehrer Heinz Lichius, der während meiner Studienzeit für viele NDR-Projekte engagiert wurde und deren Proben und Konzerte ich mir oft ansah.

Die Idee, mein Abschlusskonzert im großen Ensemble zu spielen, entstand im Sommer 2011 auf einem Bigband-Festival in Finnland, zu dem wir als Landesjugendjazzorchester eingeladen waren. Wir spielten Stücke des in den 70er Jahren entstandenen Albums Giant Steps (Woody Herman Bigband) und ich war begeistert von der mitreißenden Spielfreude, der Energie in der Musik und der Mischung aus Jazz/Rock und Funk. Folglich kam ein Abschlusskonzert in kleinerer Besetzung für mich nicht mehr in Frage.

Dass eine andere Lieblingsplatte meinerseits, nämlich Basie & Beyond, letztlich im Mittelpunkt des Konzertabends stehen wird, resultiert aus meiner jahrelangen Auseinandersetzung mit der Musik Count Basies – in dieser Tradition bin ich routiniert und fühle mich irgendwie zu Hause.

Interlude: Was bedeutet Bigband für dich im heutigen Kontext? Wie kann man es schaffen, bei all den verlockenden Nestico-, Ellington- und Mingus-Arrangements dieser Welt sich auch als Bigband den musikalischen Blick nach vorne zu bewahren?

Christin Neddens: Diese Frage ist schwierig zu beantworten, gibt mir aber zeitgleich auch einen Denkanstoß. Ich ertappe mich leider viel zu oft dabei, alte Bigband-Literatur aufzuarbeiten, ohne aber im Vergleich dazu den musikalischen Blick gleichermaßen nach vorne zu richten. Ist doch allein die Big Band-Literatur so umfangreich, dass man jahrelang Alben transkribieren und hören müsste, um alles umfassen zu können.

Ich denke aber auch, dass es ungemein wichtig ist, in einer bestimmten Musiktradition verwurzelt zu sein und als Musiker deren „Vokabular“ zu beherrschen. Dieses Bewusstsein macht es meiner Meinung nach möglich, zeitgenössische und moderne Ideen auf der Tradition des Ursprünglichen aufzubauen und Neues entstehen zu lassen.

Allein in Deutschland ist die Jazz-Szene an jungen Komponisten, die für Bigband schreiben, ungemein kreativ und reich an der Zahl – man denke nur an Stefan Schultze, Jürgen Friedrich, Frederik Köster, David Grottschreiber, Jörn Marcussen-Wulff, Nils Klein oder Malte Schiller, um nur einige von vielen zu nennen.

Interlude: Welche Unterschiede gibt es für dich als Schlagzeugerin, wenn du mit einer Bigband spielst im Vergleich zum Spiel in kleineren Ensembles? Und wie groß ist dein kreativer Spielraum bei der Interpretation "klassischer" Bigband-Arrangements?

Christin Neddens: Als Laie oder auch als unerfahrener oder fachfremder Schlagzeuger mag man den Unterschied zwischen dem Schlagzeugspiel in einer Combo oder einer Bigband kaum wahrnehmen. Im Detail unterscheiden sich diese beiden Rollen aber grundlegend voneinander, zumindest, was die traditionelle Rolle des Schlagzeugers in der Bigband angeht.

In einer Jazz-Combo sehe ich mich oft als jemanden, der für die kreative Sound- und Klangkollage verantwortlich ist und mal mehr, meistens aber weniger im Vordergrund steht. Meine Aufgabe ist es hier, den Mitmusikern durch eine gute Time ein sicheres Spielgefühl zu geben, sie „gut klingen“ zu lassen. Ich bin ein gleichwertiger Teil der Band, für mich steht aber je nach Besetzung die harmonische Ebene mit Klavier und Bass mehr im Vordergrund.

In einer Bigband ist die Schlagzeugposition zusammen mit der Lead-Trompeter-Position die Wichtigste, da von hier aus Tempo und vor allem Dynamikbögen entschieden werden. Ich bin spielerisch für die Form und deren Ablauf in Kombination mit einer stabilen Time verantwortlich. Hier lässt sich meiner Meinung nach eine gewisse Kompromisslosigkeit erkennen, die, zumindest in Ensemble-Passagen, nicht auf Interaktion aufbaut, sondern auf Führung des Schlagzeugers und des Lead-Trompeters.

Der Interpretationsspielraum wird größer, je mehr Erfahrung man als Schlagzeuger in einer Bigband hinsichtlich unterschiedlicher Stilistiken, „Blattlesen“ und dem kompromisslosem Timing hat, was ich zuvor ansprach. Ich sehe mittlerweile das Notenblatt als Skizze für die Musik, die ich zu einem ganz großen Teil nach meinen Vorlieben ausfüllen kann.

So wird man durch verschiedene musikalische Einflüsse aus heutiger Zeit und durch individuellen Geschmack immer ein wenig anders klingen als Schlagzeuger aus der damaligen Zeit. Selbst wenn einem das Sound-Ideal der Bigband-Ära der 30er und 40er Jahre als heutiger Jazz-Schlagzeuger sehr vertraut ist.

Interlude: Welche Bigband oder Large Ensemble-Alben in deinem Plattenschrank liegen dir besonders am Herzen?

Christin Neddens: Wie ich anfangs schon erwähnte, sind das berühmte Bigband-Alben wie The Complete Atomic Basie, Straight Ahead oder Montreux '77 von der Count Basie Bigband. Aber auch das schon genannte Album Giant Steps (Woody Herman Big Band) und Duke Ellingtones Such Sweet Thunder und Far East Suite sind meiner Meinung nach absolut hörenswert.

Andere Lieblingsalben in meinem Plattenschrank sind Departure, Incredible Journey und The Art Of Big Band der Bob Mintzer Big Band aus den 80er und 90er Jahren, wie auch Alben des Orchesters von Maria Schneider (Evanescence, Coming About und Allegresse).

Besonders am Herzen liegt mir auch das Album Overcast feat. Efrat Alony von Prof. Ed Partyka, nicht zuletzt weil ich das Programm selbst schon mit der „Big Band Blechschaden“ aus Lüneburg und Ed Partyka als künstlerischen Leiter und Gastdirigenten aufführen durfte.

Interlude: Wie sind deine Pläne nach erfolgreichem Studienabschluss?

Christin Neddens: Nach meinem Diplomkonzert und einer kurzen Erholungsphase werde ich mich wieder um meine Bewerbung an der Thornton University in Los Angeles kümmern. Mein Wunsch ist es, ab Herbst 2013 für zwei Semester bei Prof. Peter Erskine zu studieren und mich noch einmal in einer kurzen, aber intensiven Zeit mit einem musikalisch sehr lebendigen Umfeld auf meinem Instrument fortzubilden.

Auf längere Sicht wird es mich wohl dann doch wieder in den Norden Deutschlands verschlagen. Ich möchte mein eigenes Jazz/Rock-Trio gründen und natürlich – soviel Bigband spielen wie möglich!

 


Christin Neddens' Tschak Boom Collective ist am 26. Oktober 2012 um 20 Uhr in der Faust Warenannahme, Zur Bettfedernfabrik 3 zu hören.

 

Mehr Infos


Christin Neddens studierte bei Heinz Lichius Schlagzeug im Studiengang JazzRockPop. Mehr Infos über sie gibt es auf ihrer Homepage.

Das Interview führte .

veröffentlicht im Oktober 2012

Zuletzt bearbeitet: 06.10.2012

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